Am 23. August wurde Ulrich Wüstenhagen vom Parlament der Stadt Schwalmstadt zum Radverkehrsbeauftragten berufen. Es ist damit in Schwalmstadt das erste Mal, dass diese Funktion in Form eines Ehrenamts einem fachkundigen Bürger übertragen wird. Der ADFC Schwalmstadt hat den neuen Radverkehrsbeauftragten befragt. Wüstenhagen ist selbst aktives Mitglied im ADFC auf Orts-, Kreis- und Landesebene.
ADFC Schwalmstadt: Herr Wüstenhagen, zuerst gratuliere ich Ihnen im Namen der Ortsgruppe Schwalmstadt des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs zu Ihrer Ernennung. Zu Beginn eine eher persönliche Frage: Was macht für Sie ganz persönlich den Reiz des Radfahrens aus?
U. Wüstenhagen: Ich genieße es, jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit zu fahren. Dadurch betätige ich mich zweimal täglich sportlich ohne zusätzlichen zeitlichen Aufwand und komme hellwach und ausgeglichen im Büro an. Auch auf dem Weg nach Hause bleibt mir genügend Zeit, den Arbeitsalltag hinter mir zu lassen. Und natürlich unternehme ich in meiner Freizeit gerne auch längere Touren mit dem Rad. Unsere Region hat viel Natur und landschaftliche Reize zu bieten.
ADFC: Kann das Radfahren einen Beitrag für die Verbesserung der Lebensqualität leisten?
U. Wüstenhagen: Ja sicher! Wer regelmäßig Wege mit dem Rad zurücklegt, bleibt körperlich fit, erlebt seine Umwelt mit allen Sinnen und tut gleichzeitig etwas gegen den Klimawandel (und entlastet die Krankenkassen).
ADFC: Sie sind der erste Radverkehrsbeauftragte der Stadt Schwalmstadt. Worin sehen Sie Ihre Aufgaben?
U. Wüstenhagen: Eine der wichtigsten Aufgaben sehe ich darin, den städtischen Gremien mit dem Fachwissen zu Radverkehrsfragen zur Seite zu stehen, das ich mir über die letzten Jahre im Rahmen des ADFC, durch das Studieren von Regelwerken und Fallbeispielen, durch Internet-Recherche und bei Veranstaltungen der Fahrradakademie angeeignet habe. Durch rechtzeitige Einbindung des Radverkehrsbeauftragten ließen sich kostspielige Planungsfehler im Vorfeld vermeiden.
ADFC: Kolleginnen und Kollegen von Ihnen führen den Titel Radwegebeauftragter, Sie sind zum Radverkehrsbeauftragten berufen worden. Gibt es für Sie einen Unterschied?
U. Wüstenhagen: Ja, sicher! Der Begriff Radwegebeauftragter greift viel zu kurz und suggeriert, dass sich diese Person in erster Linie für bestehende und neu zu bauende Radwege einsetzen soll. Das widerspräche aber allen neueren Forschungsergebnissen und den daraus abgeleiteten Regelungen und Empfehlungen. Die Vorstellung, dass Radfahrer grundsätzlich auf Radwege gehören, ist längst überholt. Radverkehr wird zukünftig zu großen Teilen auf der Fahrbahn stattfinden. Zur Förderung des Radverkehrs gehört demzufolge auch eine „Entschleunigung“ des Autoverkehrs, Schaffung geeigneter Radabstellanlagen, Mitnahme des Rades in Bahn und Bussen etc.
ADFC: Welche Erfahrungen bringen Sie mit?
U. Wüstenhagen: Seit nunmehr 26 Jahren fahre ich in Schwalmstadt und in der Region fast täglich mit dem Fahrrad. Dadurch kenne ich fast alle Wege, die für den Radverkehr relevant sind, und kenne natürlich auch die zahlreichen Mängel und Lücken der Infrastruktur. Meine Erfahrungen als aktiver Radfahrer habe ich wie bereits erwähnt über die Teilnahme an etlichen Seminaren, das Studium von Fachliteratur, Internetrecherche und nicht zuletzt durch meine Tourenleiterausbildungen beim Landesverband des ADFC erweitert.
ADFC: In welche Richtung entwickelt sich der Verkehr im Allgemeinen und der Radverkehr im Besonderen und welche Folgen hat das für Kommunen wie Schwalmstadt?
U. Wüstenhagen: In vielen Gemeinden ist inzwischen die Erkenntnis gereift, dass das Entwicklungsziel der autogerechten Stadt ein Irrweg war. Dort, wo die Planungen die Bedürfnisse der nicht-motorisierten Verkehrsteilnehmer wieder stärker in den Vordergrund gestellt haben, haben die Städte Lebensqualität zurückgewonnen. Dort ist auch eine rasante Zunahme des Radverkehrs für Alltagswege zu beobachten.
ADFC: Verfolgen Sie konkrete Ziele in der nächsten Zukunft?
U. Wüstenhagen: Ein großes Thema ist die Rechtssicherheit durch sparsame und sinnvolle Ausweisung benutzungspflichtiger Radwege, daneben der auf die Bedürfnisse der Radfahrerinnen und Radfahrer abgestimmte Umbau des Treysaer Bahnhofs, die Erschließung der Festung Ziegenhain für den Radverkehr sowie die Einrichtung einer Fahrradstraße im Apfelgässchen in Treysa.
ADFC: Wie wollen Sie Ihre Ziele erreichen?
U. Wüstenhagen: Zentral wichtig ist für mich eine Vernetzung mit Amtsträgern in Parlamenten, Hessen mobil (früheres Amt für Straßenbau und Verkehrswesen, RT), ehrenamtlich Tätigen und gesellschaftlich engagierten Gruppen wie der Leader-Region Schwalmaue, dem RV Einigkeit, dem Tourismusservice Rotkäppchenland, kirchlichen Gruppen um nur einige zu nennen. Meine Vorstellung ist, dass dem ehrenamtlichen Radverkehrsbeauftragten mindestens ein Mitarbeiter der Verwaltung als Kontaktperson zur Verfügung steht. Ein wichtiges Gremium ist auch der Radverkehrsbeirat. Allerdings müsste der meines Erachtens regelmäßiger tagen und mehr konkrete Maßnahmen verabschieden. Auch vermisse ich die zeitnahe Versendung des Protokolls. Insgesamt gilt: Das Bündnis für mehr Radverkehr in Schwalmstadt muss möglichst viele Akteure hinzugewinnen. Hier kann ich unter anderem auch auf das Know-How des ADFC-Kreis- und Landesverbands, des Bundesverbands und anderer Gruppierungen zugreifen. Außerdem finde ich persönliche Unterstützung in der Schwalmstädter Ortsgruppe des ADFC.
ADFC: Auch wenn die Konjunkturdaten und damit die Steuereinnahmen in Deutschland zurzeit immer noch positiv sind, klagen viele Kommunen über leere Kassen. Wie soll das alles finanziert werden?
U. Wüstenhagen: Im Vergleich zu Investitionen für andere Verkehrsmittel bewegen sich die Beträge für den Radverkehr auf bescheidenem Niveau. Zudem gibt es viele Maßnahmen wie das Abmarkieren von Radfahrstreifen und Schutzstreifen, sowie das Einrichten von Tempo-30-Zonen und Fahrradstraßen, die beinahe zum Nulltarif zu haben sind. Um Fördergelder beantragen zu können, wäre ein Radverkehrskonzept für Schwalmstadt eine wichtige Hilfestellung. Die Beachtung (Kenntnis!) der Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) sowie der Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV zur StVO von 2009) sind Voraussetzung für die Förderung.
Das Interview führte R. Tripp